Bauen mit Baugruppen
Chancen und Impulse durch Baugemeinschaften
Gerd Kuhn, Stefan Krämer
In den letzten Jahren haben sich in vielen Städten Baugruppen (oder Baugemeinschaften) gebildet, die ohne Einbeziehung professioneller Bauträger innovative Wohnprojekte realisieren. Diese Projekte stehen für stabile Nachbarschaften, für das Wohneigentum junger Schwellenhaushalte und für selbst bestimmte neue Wohnformen.
Baugemeinschaften erfahren nicht nur von Bauwilligen, sondern auch von vielen Fachleuten große Sympathie. Mit ihren Projekten sollen die Fehlentwicklungen älterer Quartiere (wie soziale Segregation, Anonymität und defizitäre Urbanität) vermieden oder gar repariert werden. Die vermeintlichen Stärken der Baugemeinschaften erscheinen von daher verlockend, die Praxis zeigt aber auch die Grenzen des Bauens in Baugruppen.
Die von Baugemeinschaften realisierten Wohnprojekte und Organisationsformen sind keine wirklichen Innovationen, sondern schließen an die Geschichte des Reformwohnungsbaus an. Von traditionelleren gemeinschaftlichen Wohnprojekten unterscheiden sie sich vor allem dadurch, dass sie überwiegend nicht auf Armut, sondern auf Wohlstand und hoher sozialer Ausdifferenzierung beruhen.
Wir unterscheiden vier Grundtypen von Baugruppen: Freie Baugemeinschaften, "Architekten-Baugemeinschaften", "Bauen in Nachbarschaft" und Genossenschaftliche Baugemeinschaften.
Freie Baugemeinschaften
Der Idealtypus der Freien Baugemeinschaft entstand in den Stadtentwicklungsprojekten in Freiburg i. B. (Vauban/Rieselfeld) und Tübingen (Französisches Viertel/Loretto). Die Impulse dafür gingen in Freiburg von Nutzergruppen aus (Forum Vauban), während in Tübingen städtische Akteure die Initiative ergriffen.
In beiden Städten waren Baugruppen zunächst nur ein experimenteller Baustein in der Stadtentwicklung. Sie erhielten intensive Unterstützung; in Freiburg vom Verein "Forum Vauban" und in Tübingen von den Mitarbeitern des Amtes für Stadtsanierung. Es wurden Workshops veranstaltet und Gruppenbildungsprozesse moderiert. Inzwischen sind freie Baugemeinschaften zum "Normalfall" und zu zentralen "Motoren" der Stadtentwicklung in Freiburg und Tübingen geworden. Ihr Engagement, ihre Risikobereitschaft und ihre Innovationskraft haben die Quartiere entscheiden geprägt und sie sind heute fest in die zivilgesellschaftlichen und urbanen Netzwerke eingebunden.
Folgende Phasen der Bildung dieses Typus haben sich durchgesetzt:
(a) Interessengemeinschaft: Zu Beginn finden sich Bauwillige zusammen, klären ihre Vorstellungen und einigen sich auf ihr Projektthema (z. B. ökologisches Bauen, Mehrgenerationenwohnen, neue Wohntypologien). Aus dieser Klärungsphase entstehen Interessengruppen, die nach einem Baugrundstück suchen und weitere Mitglieder werben.
(b) Planungsgemeinschaft: Der verbindliche Charakter nimmt zu, ein Ausstieg ist aber noch möglich. Die Gruppe beauftragt nun Architekten und Fachplaner; eine ausführliche Baubeschreibung und ein vollständiger Kostenplan entstehen. Die zukünftigen Wohneinheiten werden verteilt und individuelle Finanzierungspläne entworfen. In dieser Phase sind die Baugruppen noch fragil und im Wettbewerb mit klassischen Bauträgern klar im Nachteil, falls ihnen keine verbindliche Option (Reservierung) auf ein Grundstück eingeräumt wird.
(c) Bau(herren)gemeinschaft: In diesem Stadium erfolgen der Kauf des Grundstückes und die Fixierung der rechtlichen Verhältnisse. Der Bau beginnt und ausstehende Detailfragen werden geklärt.
(d) Eigentümergemeinschaft: Nach der Baufertigstellung wird gemäß Wohnungseigentumsgesetz geteilt und eine dauerhafte Rechtsgemeinschaft entsteht. Das Sondereigentum an einzelnen Wohnungen und an den Gewerbeeinheiten wird zugeteilt.
Ein Wesensmerkmal dieser Art von Baugemeinschaften ist, dass sie individuelle Wohnwünsche des Einzelnen gemeinsam mit anderen Personen im Wohnungseigentum realisieren. Vermeintliche Gegensätze (Eigentum vs. Gemeinwesen, Individualität vs. Gemeinschaft, Privatheit vs. Öffentlichkeit) werden neu interpretiert und aus der Verschränkung von privatem Grundbesitz, gemeinschaftlicher Planung und Nutzung sowie "überschaubaren" Verantwortlichkeiten können robuste urbane und soziale Strukturen entstehen.
Baugruppen bilden sich zumeist, um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen, das sich von einzelnen Bauherren kaum erreichen lässt. Entsprechend dieser verbindenden Idee entstammen ihre Mitglieder oft aus homogenen sozialen Milieus. Manche Konzepte sehen vor, dass die soziale Homogenität auf der Parzelle durch eine soziale Pluralität im Quartier ergänzt wird. Grundsätzlich kann sich diese soziale Homogenität jedoch auch zu einem neuralgischen Aspekt für die Funktion und Leistungsfähigkeit von Baugemeinschaften als Träger neuer Stadtteile entwickeln.
"Architekten-Baugemeinschaften"
Die "Architekten-Baugemeinschaften" stehen für eine Umkehrung der Gründungsimpulse: Nicht die neu formierte Baugemeinschaft sucht nach ihrer Gründungsphase nach einen Architekten, sondern Architekten suchen zur Umsetzung ihrer Ideen eine Baugemeinschaft. Seit einigen Jahren gibt es Architekturbüros, die sich auf derartige Baugruppenprojekte spezialisiert haben.
In den "Architekten-Baugemeinschaften" ist die Diskussionsfreudigkeit überwiegend geringer ausgeprägt als in den Freien Baugemeinschaften. Häufig führt die Leitung der Architekten auch zu einem strafferen Planungs- und Bauprozess und zu architektonisch anspruchsvolleren Realisierungen, wie z. B. das Französische Viertel in Tübingen verdeutlicht.
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"Bauen in Nachbarschaft"
Die Formen der Baugemeinschaften wurden in den letzten Jahren vielfältiger. Zugleich verwischen sich aber auch die Grenzen zwischen den einzelnen Typen. Eine Übergangsform zwischen Freien Baugemeinschaften und klassischen Bauträgermodellen bezeichnen wir als "Bauen in der Nachbarschaft".
Das Ausmaß der Beteiligung ist in diesen Projekten niedrig und beschränkt sich meist auf individuelle Wünsche beim Innenausbau. Gemeinschaftseinrichtungen sind selten vorhanden. Die Grünanlagen werden privat ausgewiesen, zum teil aber nicht durch Zäune oder Barrieren getrennt. Die starke Stellung des Projektentwicklers ermöglicht eine einheitliche äußere Gestaltung.
Genossenschaftliche Baugemeinschaften
Neben den am Eigentum orientierten gemeinschaftlichen Wohnprojekten haben sich auch zahlreiche neue genossenschaftliche Wohnprojekte gebildet. In Hamburg – einer Hochburg der neuen Genossenschaften – standen sie zunächst den Ökologie- und Hausbesetzer-Szenen nahe und verwirklichten ihre Wohnprojekte anfänglich überwiegend im Bestand. Neuerdings werden verstärkt auch Wohnprojekte im Neubau und jenseits der "Szene-Viertel" realisiert, in die außerdem soziale Dienstleistungen integriert werden.
Mit dem Niedergang des traditionellen sozialen Wohnungsbaus wird die Wohnraumversorgung von einkommensschwachen Gruppen auch in anderen Städten problematischer und genossenschaftliche Wohnprojekte gewinnen dort ebenfalls an Bedeutung. Ihre Experimentierfreude zeigt sich in der Vermischung der Eigentumsformen. In Stuttgart, München oder Tübingen wurden beispielsweise Wohnprojekte realisiert, in denen "Miet- und Eigentumsgenossen" in einem Haus zusammen wohnen und so bereits auf der Projektebene zur sozialen Durchmischung des Quartiers beitragen.
Baugruppen als Impulsgeber für die Stadtentwicklung?
Der Beitrag von Baugemeinschaften zur Stadtentwicklung fällt bisher unterschiedlich aus. In den Konversionsgebieten von Tübingen und Freiburg ist ihr Stellenwert hoch und die von ihnen geschaffenen urbanen Qualitäten wurden bereits mit der Verleihung mehrerer Preise gewürdigt. Eine vergleichbare Bedeutung hatten Baugruppen im Projekt Smiley-West in Karlsruhe, wo sie auch an der Erstellung des städtebaulichen Rahmenplans beteiligt wurden.
Die grundsätzliche Frage, welche Funktion und welchen Anteil vor allem Freie Baugemeinschaften an der Entwicklung neuer Stadtteile oder an der Revitalisierung und Stabilisierung bestehender Quartiere übernehmen können, ist nur vor dem Hintergrund der aktuellen Tendenzen und Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung zu beantworten. Es sind vor allem zwei Entwicklungsstränge, die zu einer wachsenden Bedeutung von Baugruppen in der Stadtentwicklung führen:
- Die veränderten finanzpolitischen Rahmenbedingungen für die Kommunen verstärken die Abkehr vom traditionellen Leitbild eines durch Mehrheitsentscheid legitimierten und administrativ intervenierenden Politikmodus. Die Kommunen sind vor der aktuellen Herausforderung eines umfassenden Stadtumbaus darauf angewiesen, ihre Tätigkeit für eine Mitwirkung ihrer Bürger zu öffnen.
- Engagierte Bevölkerungsgruppen erweisen sich zunehmend als kompetente und handlungsfähige Kooperationspartner für die öffentliche Hand und für private Unternehmen.
Je weniger Kommunen in der Lage sind, die Strukturen und die Elemente der städtischen Entwicklung weiterhin durch administratives Handeln zu bestimmen, desto wichtiger wird ein neues Politikverständnis, das ihnen verstärkt die Rolle von Moderatoren eines Prozesses zuweist und für den sie sich der Unterstützung anderer gesellschaftlicher Kräfte versichern.
Neue Formen bürgerschaftlicher Beteiligung
In der wachsenden Zahl von Beteiligungsverfahren und Kooperationsprojekten lernen die Kommunen, andere Organisations- und Kompetenzstrukturen anzuerkennen und zu respektieren. Diese Erfahrungen erleichtern es ihnen, angesichts der fortschreitenden Individualisierung und der Pluralisierung von Lebensstilen in den Baugemeinschaften neue Partner zu finden, mit denen sie sich gemeinsam auf übergeordnete Ziele der Stadtentwicklung verständigen können.
Freiburg und Tübingen sind herausragende Beispiele für die Potenziale, die bei größeren Konversionsprojekten in solchen Prozessen liegen. Städte wie Hamburg oder Leipzig mit über das ganze Stadtgebiet verteilten Baugemeinschaften verdeutlichen ergänzend die allgemein in der Stadterneuerung und beim Stadtumbau vorhandenen Chancen für eine Integration neuer Formen bürgerschaftlicher Beteiligung.
Dr. Gerd Kuhn, Institut Wohnen und Entwerfen, Universität Stuttgart.
Dr. Stefan Krämer, Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg.
Literatur:
Wohnen im Eigentum in der Stadt, Wüstenrot Stiftung (Hg.), Stuttgart 2004
BauWohnberatung Karlsruhe, Wüstenrot Stiftung (Hg.), Ludwigsburg 2003
Wohnprojekte – Baugemeinschaften – Soziale Stadtentwicklung, STATTBAU Hamburg (Hg.), Hamburg 2002
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